Was hat es mit dem Bedürfnis von Paaren auf sich, beim Sex unbemerkt zu bleiben? Die Recherche eines Forschers belegt, dass es sich dabei tatsächlich um ein kulturübergreifendes Phänomen handelt und somit wohl um eine typische Verhaltensweise des Menschen. Ein ähnliches Verbergen ist bisher nur von einer sozial lebenden Vogelart bekannt. Als Erklärung zur Funktion des Verhaltens präsentiert der Biologe die sogenannte Kooperationserhaltungshypothese: Demnach soll der Sex im Verborgenen die Kontrolle über den Partner erhalten sowie soziale Konflikte in der Gemeinschaft vermeiden.
Es werden Vorhänge zugezogen, Türen geschlossen oder die Partner suchen sich ein einsames Plätzchen: Es scheint typisch für den Menschen zu sein, dass Paare Vorkehrungen treffen, um den Geschlechtsverkehr vor der Wahrnehmung anderer zu verbergen. Das gilt auch für sozial legitimierte Partnerschaften, bei denen das Verhalten eigentlich nicht vor anderen versteckt werden müsste. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das bisher kaum wissenschaftlich untersucht wurde, berichtet Yitzchak Ben Mocha von der Universität Zürich. So hat er dem Thema nun erstmals eine umfassende Studie gewidmet.
Publikum unerwünscht
Zunächst ging er der Frage nach, inwieweit das verbergende Verhalten tatsächlich kulturübergreifend verbreitet ist. Er analysierte dazu zahlreiche Quellen, aus denen Informationen über die sexuellen Verhaltensweisen in 249 unterschiedlichen Kulturen der Welt hervorgehen. Wie Ben Mocha berichtet, zeichnet sich trotz der großen kulturellen Unterschiede im Umgang mit dem Thema Sexualität ab: Paare haben ein Bedürfnis danach, bei Intimitäten möglichst ungesehen und ungehört zu bleiben. Sogar in Kulturen, bei denen Menschen in sehr engem Kontakt miteinander leben, gibt es entsprechende Verhaltensweisen, geht aus den Recherchen hervor. Es liegt somit nahe, dass das Phänomen eine grundlegende menschliche Verhaltensweise ist.
Im Rahmen der Studie hat der Forscher auch einen Blick ins Tierreich geworfen. Wie er berichtet, verbergen Tiere, die in sozialen Gruppen leben, ihre sexuellen Verhaltensweisen in der Regel nur, wenn sie mit Sanktionen durch ranghöhere Artgenossen rechnen müssen. Dominante Individuen paaren sich hingegen offen im Blickfeld der Gruppenmitglieder. Das gilt auch im Fall unserer nächsten Verwandten im Tierreich – den Menschenaffen.
Ben Mocha zufolge wurde ein ähnliches Verhalten wie beim Menschen bisher nur bei einer sozial lebenden Vogelart beobachtet: dem Graudrossling (Turdoides squamiceps). Diese Wüstenvögel leben in stabilen territorialen Gruppen von bis zu 22 Individuen und sind für ihr komplexes Kooperationsverhalten und die gemeinschaftliche Aufzucht der Jungtiere bekannt. In den Gruppen gibt es den Beobachtungen zufolge feste Pärchen, die sich zur Paarung Orte suchen, an denen sie für andere Gruppenmitglieder nicht sichtbar sind. Somit zeichnen sich interessante Parallele zwischen dem Menschen und diesen ungewöhnlichen Vögeln ab, berichtet Ben Mocha.
Vermeidung von Neid und Konflikt
Doch welche Rolle könnte das Verbergungsverhalten im Rahmen der sozialen Lebensweise spielen? Ben Mocha präsentiert dazu die sogenannte Kooperationserhaltungshypothese als Erklärungsansatz. Sie besagt, dass Menschen sowie die Graudrosslinge ihr Paarungsverhalten verbergen, um eine sexuelle Erregung bei Zeugen zu vermeiden, die zu Konflikten in der Gruppe führen könnte. Wie er erklärt, bilden Menschen in allen Kulturen Beziehungen aus, bei denen beide versuchen, den Sex ihres Partners mit anderen auf die eine oder andere Weise einzuschränken. Dies unterscheidet uns von den sexuellen Verhaltensweisen bei den Menschenaffen, die auf andere Strategien im Rahmen der Fortpflanzung setzten.
Beim Menschen könnte eine öffentliche Paarung zwischen festen Partnern einer Gruppe zu folgenden Konsequenzen führen: Es kommt zu einer sexuellen Erregung bei Gruppenmitgliedern (männlich oder weiblich), die anschließend versuchen könnten, einen der Partner für sich zu gewinnen. Der „Betrogene“ könnte dann mit Aggression reagieren, wodurch das soziale Gefüge innerhalb der Gruppe leidet. Somit könnte es sich beim Verbergen der Paarung um eine einfache Methode handeln, unnötige Konflikte in der Gruppe zu vermeiden. Diese deeskalierend wirkende Verhaltenstendenz könnte für den Menschen besonders wichtig gewesen sein, da sein evolutionärer Erfolg intensiv auf dem komplexen Sozialverhalten und der Fähigkeit zur Kooperation beruht. Ähnliches gilt offenbar auch für den Graudrossling, so Ben Mocha.
Der Autor ruft nun Biologen dazu auf, auch bei anderen sozial lebenden Tierarten nach verdecktem Paarungsverhalten Ausschau zu halten, denn möglicherweise handelt es sich um ein bisher übersehenes Phänomen. Weitere Nachweise könnten dann auch zeigen, ob die Kooperationserhaltungshypothese weiterhin als Erklärung plausibel erscheint, schreibt Ben Mocha.
Quelle: Proceedings of the Royal Society B, doi: 10.1098/rspb.2020.1330
August 05, 2020 at 04:01AM
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