Der Fangschreckenkrebs hat einen der schnellsten und härtesten Schläge im Tierreich. Seine zu Schmetterkeulen umgewandelten Fangarme zerbrechen selbst Glas und haben die Wucht einer Pistolenkugel. Warum die Keulen bei diesem Aufprall nicht zerbrechen, haben nun Forscher herausgefunden. Demnach sorgt zusätzlich zu der schon bekannten dreischichtigen Mikrostruktur des Krebspanzers eine Beschichtung aus speziellen Nanokristallen für eine Kombination aus Dämpfung und Härte. Beides zusammen sei in diesem Ausmaß bei künstlichen Materialien bislang unerreicht, so die Forscher.
Der etwa handgroße Fangschreckenkrebs Odontodactylus scyllarus lebt in den Korallenriffen des tropischen Pazifiks. Um seine Beute zu erlegen, hat dieser Krebs eine spezielle Strategie entwickelt: Er erschlägt sie. Nähert sich ihm ein kleiner Fisch oder ein anderer Krebs oder sichtet er eine potenziell schmackhafte Muschel, schleudert Odontodactylus explosionsartig seine verdickten Keulen vor. Schneller als die Faust eines Boxers treffen sie auf die Beute und durchschlagen selbst dicke Panzer und Schalen. “Der Krebs kann beim Schlag Kräfte von bis zu 1500 Newton erzeugen und seine Keule mit dem rund 10.000-Fachen der Erdbeschleunigung beschleunigen”, erklären Wei Huang von University of California in Irvine und seine Kollegen. Beim Schlag bekommt die Schmetterkeule dadurch eine Geschwindigkeit von bis zu 23 Metern pro Sekunde. Dies ist eine der schnellsten Bewegungen im Tierreich. Trotzdem halten die “Boxhandschuhe” des farbenfrohen Krebses tausende solcher Schläge aus, ohne Schaden zu nehmen.
Schlagschutzschicht im Visier
Erste Informationen dazu, wie der Krebs dies bewerkstelligt, hatten Forscher schon vor einigen Jahren aufgedeckt. Demnach bestehen die Schmetterkeulen der Fangschreckenkrebse aus einem dreischichtigen Material. Die beiden inneren Schichten sind primär aus spiralig gewundenen, teilweise mineralisierten Chitinfasern aufgebaut, die den Panzer elastisch und trotzdem fest machen. Sie verhindern durch ihre gewundene Form zudem die Ausbreitung von Rissen. Außen ist die Keule überzogen von einer mineralischen Schutzschicht, die nur so dünn ist wie ein menschliches Haar, aber einen Großteil der Aufprallwucht abfängt. Frühere Studien hatten bereits ergeben, dass diese Schicht aus speziell ausgerichteten Kristallen des Minerals Hydroxyapatit besteht, dem Material, das auch unseren Zähnen Festigkeit verleiht. Doch wie genau diese Schicht es schafft, die Wucht der Schläge abzufangen, war bislang unklar.
Für ihre Studie untersuchten Huang und seine Kollegen zunächst die Beschaffenheit der nur rund 70 Mikrometer dünnen Schutzschicht bei der Schmetterkeule eines frisch gehäuteten Fangschreckenkrebses und eines älteren, kurz vor der nächsten Häutung stehenden Exemplares. Wie erwartet, war die frische Oberfläche der Keule glatt und unbeschädigt. “Dagegen zeigte die Analyse der stark genutzten Schutzschicht substanzielle Abnutzungserscheinungen”, berichten die Forscher. “Das spricht dafür, dass im Laufe von tausenden von Schlägen einiges an Material aus dieser Schutzschicht verloren geht.” Im nächsten Schritt bestätigten Elektronenmikroskop-Aufnahmen, dass die Schutzschicht tatsächlich zum großen Teil aus Hydroxyapatit-Nanokristallen besteht, die in eine organische Matrix eingebettet sind. Entgegen früheren Annahmen sind diese Kristalle aber ihrerseits aus mehreren noch kleineren Körnchen zusammengesetzt. Ihre Kanten grenzen nicht flach aneinander, sondern sind im Winkel von 1,5 Grad leicht gegeneinander verkantet, wie die Wissenschaftler herausfanden.
Kantenbrechen der Nanokristalle schluckt Aufprallenergie
Welchen Nutzen diese spezielle Struktur hat, enthüllten Schlagtests. Dafür ließen die Forscher unter dem Rasterkraftmikroskop winzige kugelförmige oder spitze Impaktoren auf die Schutzschicht der Krebskeulen aufprallen. Dabei konnten sie beobachten, wie sich die Nanokristalle beim Schlag veränderten. “Bei relativ geringen Belastungen verformten sich die Partikel fast wie ein Marshmallow und federten hinterher wieder in ihre alte Anordnung zurück”, berichtet Huangs Kollege David Kisailus. Anders dagegen bei Schlägen mit hoher Energie: “Dann versteift diese Schicht und die Grenzflächen der Nanokristalle zerbrechen”, so der Forscher. Die organischen Anteile erstarren durch den Impakt und gleichzeitig verschieben sich die winzigen Kristallkörnchen so, dass ihre Kanten pulverisieren. Dies schluckt einen Teil der Energie, ohne dass die Struktur der nanokristallinen Schicht zerstört wird. Gleichzeitig verringert dieses Brechen im kleinsten Maßstab die Eindringtiefe der Schockwelle um rund die Hälfte, wie Huang und sein Team feststellten.
“Die Kombination von steifen anorganischen und weichen organischen Bestandteilen in diesem sich durchdringenden Netzwerk verleiht der Schicht beeindruckende Dämpfungseigenschaften, ohne dass sie dadurch an Steifigkeit verliert”, sagt Kisailus. Das sei eine sehr seltene Merkmalskombination, die die Leistungsfähigkeit der meisten Metalle und technischen Keramiken weit übertreffe. Nach Ansicht der Forscher eröffnet das Wissen über die Struktur der Schlagschutzschicht des Fangschreckenkrebses daher nun neue Möglichkeiten, künstliche Materialien mit diesen Eigenschaften herzustellen. “Solche Materialien hätten eine breite Palette von Anwendungen – von impakt- und vibrationsresistenten Beschichtungen für Gebäude, Körperpanzer, Flugzeuge oder Automobile bis hin zu erosionsbeständigen Überzügen für die Turbinen von Windkraftanlagen”, konstatieren Huang und seine Kollegen.
Quelle: Wei Huang (University of California, Irvine) et al., Nature Materials, doi: 10.1038/s41563-020-0768-7
August 17, 2020 at 08:01PM
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